Arnold Freymuth – der Namensgeber der Gesellschaft

„Der Jurist ist nicht dazu da, Paragraphen zu verarbeiten, sondern er soll Helfer der Gerechtigkeit sein.“

Enthüllung des Straßenschildes für Arnold Freymuth 2002 durch die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts (Foto: © Rainer Mroß)

Die Gesellschaft hat sich nach dem am 28. November 1872 geborenen Arnold Freymuth benannt, der von 1911 bis 1919 als Richter am Oberlandesgericht Hamm tätig war. Diese Namensgebung soll den Blick auf einen zu Unrecht vergessenen Juristen richten, dessen Haltung und Einsatz für die Menschenrechte und für die demokratischen Werte vorbildlich war. Freymuth war einer der wenigen republikanischen Juristen der Weimarer Republik, die sich nicht scheuten, mit Zivilcourage allen Fehlentwicklungen öffentlich entgegenzutreten. Privatdozent Dr. Otmar Jung von der Freien Universität Berlin hat sein Leben und Wirken mit viel Liebe zum Detail beschrieben („Senatspräsident Freymuth. Richter, Sozialdemokrat und Pazifist in der Weimarer Republik. Eine politische Biographie“, Frankfurt/M. 1989).

Freymuth trat politisch erstmals im Herbst 1918 hervor. Trotz seines hohen richterlichen Amtes als Richter am Oberlandesgericht trat er der Sozialdemokratie bei. Auf deren Veranstaltungen forderte er öffentlich ein Ende des Krieges.

Er rief auf zahlreichen Volksversammlungen in Hamm und Umgebung zusammen mit dem damaligen Hammer Vorsitzenden der Sozialdemokratie, Nikolaus Osterroth, zum sofortigen Friedensschluss auf: „Es ist genug gestorben!“ Dabei scheute er nicht die soziale Ächtung durch seine Berufskollegen, die sich auch tatsächlich von ihm distanzierten und seinen Ausschluss aus dem preußischen Richterverein verlangten. Als die Umsturzbewegung am 8. November auch Hamm erreichte, stellte er sich zur Verfügung. Am 9. November 1918 wurde er zum Stellvertreter des Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates der Stadt Hamm gewählt. Hamm nahm damals als Eisenbahnknotenpunkt für die Lebensmittelversorgung eine wichtige Funktion wahr. Freymuth sorgte persönlich für Gewaltfreiheit bei der Übernahme der Verwaltung und stellte sich allen Plünderungsversuchen entgegen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Im Januar 1919 wurde er als einziger Justizjurist auf der SPD-Liste in die Preußische Nationalversammlung gewählt und wurde parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium. Er konnte jedoch dort unter einem Zentrumsminister wenig bewirken. Auf seinen von der eigenen Fraktion mit Erbitterung wahrgenommenen Widerspruch ist zurückzuführen, dass die bis dahin mit der Abschaffung der „Klassenjustiz“ begründete Forderung nach einer Volkswahl der Richter in der Nationalversammlung fallen gelassen wurde. Im Görlitzer Programm übernahm später die SPD Freymuths Position, die Berufsrichterschaft sozial ausgewogener zusammenzusetzen und gewählte Laienrichter nach dem Vorbild der Gewerbegerichte mitwirken zu lassen. Das hinderte die Fraktionsspitze aber nicht daran, die Niederlage in der Frage der Volkswahl der Richter zum Anlass zu nehmen, Einfluss darauf zu nehmen, dass er nicht zur Wiederwahl aufgestellt wurde. Neben seinem Berliner parlamentarischen Amt war Freymuth auch noch auf Drängen der örtlichen SPD als Mitglied in der Hammer Stadtverordnetenversammlung und als ehrenamtlicher Stadtrat tätig. Die politische Rechte verzieh ihm dieses Engagement nicht und nannte ihn fortan in ihren Zeitungen den „roten jüdischen OLG-Rat“.

Nachdem das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs in Preußen abgeschafft worden war, wurde Freymuth im Frühjahr 1921 eine Stelle als Richter am Kammergericht übertragen. Ab 1922 arbeitete er ehrenamtlich in der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) und in der Liga für Menschenrechte (DLfM). Früh setzte er sich für die Verständigung mit den Nachbarvölkern Frankreich und Polen ein. 1923 nahm er am Kongress der internationalen Liga für Menschenrechte teil. Nach einer anschließenden Besichtigung der ehemaligen Kampfgebiete räumte er öffentlich ein, dass Deutschland den Schaden wiedergutmachen müsse. In einer Denkschrift für die DLfM forderte er die Republikanisierung der Justiz. Landauf, landab hielt er Vorträge gegen das Fechenbach-Urteil und forderte öffentlich ein Wiederaufrollen dieses Falles. Felix Fechenbach, persönlicher Referent des ermordeten bayerischen Revolutionsministerpräsidenten Kurt Eisner, war 1922 vom Volksgerichtshof München I wegen vollendeten Landesverrates zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, weil er ein bereits in ausländischen Zeitungen veröffentlichtes diplomatisches Schriftstück aus der Hand gegeben hatte, in dem es um die Enthüllung der deutschen Kriegsschuld ging. Freymuths öffentliche Vortragsreisen, auf denen er u.a. auch in München über gravierende Rechtsfehler und die distanzierte Einstellung der bayerischen Justiz zur Republik referierte, hatte Erfolg. Der Reichstag schuf eine zweite Instanz. Das dann zuständig gewordene Reichsgericht sprach Fechenbach frei. Freymuth hatte sich mit seinem Kampf für Fechenbach den Zorn der Rechtspresse und der Bayerischen Justiz zugezogen. Der bayerische Justizminister Gürtner, der später unter Hitler zum Reichsjustizminister aufstieg, ließ den Präsidenten des Kammergerichts 1923 bitten, das öffentliche Auftreten des Kammergerichtsrats Freymuth dienststrafrechtlich zu würdigen. Dieses Ersuchen wurde 1924 erneut gestellt, als Freymuth die Begründung des Urteils im Hochverratsprozess gegen Hitler als unhaltbar bezeichnete. Zwei Jahre nach dem Fechenbach-Engagement wiederholte sich vieles, als er den Fall des Journalisten Wandt, der ebenfalls wegen Landesverrats exzessiv bestraft worden war, publik machte und anprangerte. Als Freymuth schließlich mit einer Expertengruppe der DLfM eine Broschüre erstellte, in der er das Unterlaufen der Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Friedensvertrages durch Geheimrüstungen – schwarze Reichswehr – aufgedeckte, wurde versucht, ihn aus seinem neuen Amt als Senatspräsident am Kammergericht zu drängen. Wegen seiner bereits stark angegriffenen Gesundheit ließ er sich daraufhin 1925 in den Ruhestand versetzen.

Doch auch im Ruhestand gab er keine Ruhe. Er übernahm die Leitung der Republikanischen Beschwerdestelle, einer privaten Einrichtung, die über die Einhaltung der republikanischen Verfassung wachte. Neben dieser Arbeit übernahm er Vorstandsaufgaben in der Deutschen Friedensgesellschaft. Nach deren Spaltung gründete er den Allgemeinen Deutschen Friedensbund, um eine Sammlung aller deutschen Pazifisten zu versuchen.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten musste Freymuth, schon von schwerer Krankheit gezeichnet und von den Nazis bedroht, über die Schweiz in die französische Emigration fliehen. Wie recht er daran tat, zeigt das Schicksal des von ihm freigekämpften Fechenbach. Die SA nahm bereits im Frühjahr 1933 den als Journalisten in Ostwestfalen-Lippe wirkenden Fechenbach in Schutzhaft und erschoss ihn in einem zwischen Scherfede und Warburg gelegenen Waldstück „auf der Flucht“.

Der jüngere Bruder von Arnold Freymuth, Paul Freymuth, hatte ein ähnliches Schicksal. Er trat ebenfalls in den richterlichen Dienst ein. Als Richter war er am Amtsgericht in Hamm und später am Landgericht in Dortmund tätig. Bei Inkrafttreten des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 war er durch das sogenannte Frontkämpferprivileg vor Entlassung geschützt. Er wurde jedoch zunächst nach Recklinghausen und später nach Jena versetzt. Nach Inkrafttreten des Reichsbürgergesetzes zum 31. Dezember 1935 musste er den Dienst quittieren. Er entschloss sich dennoch, mit seiner im Sprachgebrauch der Nürnberger Rassegesetze „deutschblütigen“ Frau Margarete und seinen drei Töchtern in Jena zu bleiben. Nach der Reichspogromnacht wurde am 10. November 1938 Paul Freymuth zusammen mit 17 anderen jüdischen Männern aus Jena für einige Wochen in das KZ Buchenwald verschleppt. Dort wurden ihm die Schneidezähne ausgeschlagen. Am 14. Juni 1944 wurde er von der Gestapo erneut aus der Wohnung abgeholt und im Marstall in Weimar, das der Gestapo als Foltergefängnis diente, so misshandelt, dass er am 25. Juni 1944 verstarb (Quellen zur Geschichte Thüringens Bd. 24/II, Die Gestapo im NS-Gau Thüringen S. 413/414). Zur Erinnerung an Paul Freymuth ist vor dessen letzter Wohnung im Hilgenfeldweg 6 in Jena ein Stolperstein angebracht worden.

Dem Tod durch Misshandlung kam Arnold Freymuth am 14. Juli 1933 zuvor. Als kranker, 61 Jahre alter und mittelloser Mann sah er in der Fremde keine Chance. Nachdem er seine Geldmittel im Pariser Exil aufgebraucht hatte, nahm er eine Überdosis Schlafmittel und schied zusammen mit seiner Frau aus dem Leben. Als letzte Nachricht hinterließ er, dass er am Zustand der Justiz in Deutschland verzweifle. Wie Recht er hatte, zeigt zufällig ein Ereignis, das zeitgleich am 14. Juli 1933 in Hamm geschah. Der noch vor 1933 ernannte neue Präsident des OLG Hamm, Rudolf Schneider, wurde an diesem Tag offiziell in sein Amt als OLG Präsident eingeführt. Er beendete seine Rede mit dem Aufruf an die versammelte Richterschaft: „Stellen wir uns voll und ganz in den Dienst des Nationalsozialismus!“

Von der Künstlerin Heide Drever erstellte Gedenktafel für Arnold Freymuth am Standort OLG Hamm (Foto: © Rainer Mroß)

In Hamm wird die Erinnerung an Arnold Freymuth nicht nur durch unsere Gesellschaft wach gehalten. Im Beisein der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Jutta Limbach, ist am 22. März 2002 die Straße neben dem Neubau des Oberlandesgerichts als „Arnold-Freymuth-Straße“ benannt und im OLG-Gebäude eine Gedenktafel an den früheren Richter des OLG Hamm angebracht worden. Seit Mitte Dezember 2024 wird diese Straßenbezeichnung auch auf dem amtlichen Briefkopf der Präsidentin des Oberlandesgerichts und des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht angegeben.

Am 23. August 2012 nahm eine neue Sekundarschule im Stadtteil Hamm-Herringen ihre Tätigkeit auf. Sie erhielt den Namen „Arnold-Freymuth-Schule“. 2024 wird die Schule erweitert. Nach den Sommerferien nimmt die Oberstufe ihren Betrieb auf, sodass dann an der „Arnold-Freymuth-Gesamtschule“ Jugendliche aus dem Stadtteil Herringen erstmals die Möglichkeit bekommen, vor Ort das Abitur zu machen.